Administrativhaft, auch Verwaltungshaft, bezeichnet eine freiheitsentziehende Maßnahme, die durch Behörden, also etwa die Polizei oder die Besatzungsmacht angeordnet wird. Sie ist keine Strafe, sondern wird je nach Staat im Zuge der Abwehr von illegaler Einwanderung, Terrorismus oder anderer Gefahren für den Staat verhängt. Administrativhaft wird unter anderem in der Volksrepublik China, in Großbritannien, Israel, in der Schweiz und den USA praktiziert.
Administrativhaft wird als Haft definiert, die nicht von der Judikative, sondern von der Exekutive angeordnet wird. Sie kommt in sehr vielen Staaten der Welt vor und wird dort unter unterschiedlichen Bezeichnungen praktiziert, darunter etwa „Haft ohne Anklage oder Prozess“, „Internierung“, „Präventivhaft“, „Hausarrest“ oder „unter Verfügung der nationalen Exekutive“. Auch ihre Zwecke unterscheiden sich voneinander: So werden in manchen Ländern Asylbewerber routinemäßig für die Dauer ihres Verfahrens inhaftiert, ebenso potentielle Kandidaten für eine Abschiebung. Auch psychisch Kranke, Landstreicher, Prostituierte, Drogenabhängige und gefährdete Minderjährige können ohne Gerichtsverfahren inhaftiert werden, entweder zu ihrem eigenen Schutz oder zum Schutz der Allgemeinheit vor ihnen. In mehreren Staaten werden politische Dissidenten und Personen, die als Gefahr für die nationale oder öffentlichen Sicherheit angesehen werden, in Präventivhaft genommen oder interniert.[1]
In demokratischen Staaten, in denen die Verwaltungshaft als Maßnahme zur Terrorismusbekämpfung eingesetzt wird, begründen die Befürworter diese Maßnahme damit, dass die bestehenden Rechtssysteme für die Bewältigung der besonderen Herausforderungen des Terrorismus ungeeignet sind. Die Befürworter der Verwaltungshaft behaupten, dass das Strafrecht, das sich auf die Rechte des Angeklagten und strenge Beweisregeln stützt, nicht wirksam eingesetzt werden kann, um die Bedrohung durch Terroristen zu beseitigen. Diese Behauptung wird unter anderem damit begründet, dass die Informationen, die zur Identifizierung von Terroristen und ihren Plänen verwendet werden, äußerst sensible nachrichtendienstliche Quellen und Methoden enthalten können, deren Offenlegung während des Prozesses künftige Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung untergräben. Es wird auch behauptet, dass die Bedingungen, unter denen einige mutmaßliche Terroristen gefangen genommen werden, insbesondere in Kampfgebieten, es unmöglich machen, Strafsachen nach den üblichen Beweisregeln zu beweisen. Die Befürworter führen ebenso an, dass die Strafverfolgung in erster Linie dazu dient, vergangenes Verhalten zu bestrafen, und daher absichtlich zugunsten des Angeklagten verzerrt ist, um sicherzustellen, dass Unschuldige nicht bestraft werden. Die Terrorismusbekämpfung hingegen ziele darauf ab, künftige Handlungen zu verhindern, und erfordere daher ein System, das stärker darauf ausgerichtet sei, die Möglichkeit künftiger Schäden zu verringern, indem sichergestellt werde, dass kein Schuldiger frei komme.[2]
Auch die Regeln des humanitären Völkerrechts werden von den Befürwortern als unzureichend angesehen. Sie erlauben die Gefangennahme von feindlichen Kämpfern und gestatten es, sie für die Dauer der Feindseligkeiten ohne Gerichtsverfahren festzuhalten. Diese Regeln seien jedoch aus der Notwendigkeit heraus entstanden, den Kampf zwischen professionellen Armeen zu regeln, die einem souveränen Staat gegenüber rechenschaftspflichtig seien und die in einen Kampf von möglicherweise langer, aber endlicher Dauer verwickelt würden. Der Versuch, diese Gesetze auf Terroristen anzuwenden, die sich unter die Zivilbevölkerung mischten und niemandem gegenüber rechenschaftspflichtig seien, eröffne die Möglichkeit einer unbefristeten Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, verbunden mit einer hohen Fehlerwahrscheinlichkeit.[3]
In China gibt es mehrere Formen der Administrativhaft, denen Straftäter, aber auch politische Dissidenten unterworfen werden. Menschen, die durch „schlechte Gewohnheit oder Sitten“ auffallen, sollen auf diesem Weg wieder in die Gesellschaft integriert werden.[4] Eine Form der Administrativhaft ist die Umerziehung durch Arbeit („Laogai“), die in Arbeitslagern stattfindet. Besonders hart sind davon Menschen betroffen, die für die Unabhängigkeit Tibets oder Xinjiang eintreten. Administrativhaft verhängen die chinesischen Polizeibehörden für bis zu drei Jahren (gegebenenfalls um ein Jahr verlängerbar), ohne dass den Betroffenen die Möglichkeit gegeben wird, die Entscheidung richterlich überprüfen zu lassen oder Einspruch dagegen zu erheben.[5] Diese Haftform widerspricht nicht nur der Charta der Vereinten Nationen,[4] sondern auch der chinesischen Verfassung und anderen Rechtsnormen der Volksrepublik. Die Kommunistische Partei Chinas verkündete 2013 ihre Abschaffung.[6] Ein Zeitplan für die Abschaffung wurde jedoch nicht genannt. Deshalb wird sie nach wie vor verhängt.[7]
Kurz nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 beschloss das britische Unterhaus den Anti-Terrorism, Crime and Security Act, der den Sicherheitsorganen des Vereinigten Königreichs weitreichende Vollmachten gibt, darunter auch die Verhängung von Administrativhaft: Danach können Menschen ohne britische Staatsbürgerschaft auf unbestimmte Zeit ohne relevante Gerichtsentscheidung in Haft genommen werden, sobald vom Innenminister bestätigt wurde, dass sie internationale Terroristen sind oder waren.[8]
In Israel gelten Bestimmungen, die auf eine 1945 von der britischen Mandatsmacht erlassenen Militärverordnung zurückgehen:[9] Danach dürfen die israelischen Behörden alle Personen in Administrativhaft nehmen, bei denen sie annehmen, dies sei zur Aufrechterhaltung der der öffentlichen Ordnung oder zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit nötig. Dies wird begründet mit dem Ausnahmezustand, da sich Israel seit seiner Gründung mit mehreren arabischen Staaten im Krieg befindet. Dabei unterscheidet sich die Praxis der Administrativhaft im eigentlichen Staatsgebiet von der in den besetzten Gebieten. Im Staatsgebiet ist die Haftdauer auf ein halbes Jahr beschränkt, kann aber beliebig verlängert werden. Inhaftierte haben das Recht, das zuständige Bezirksgericht und in zweiter Instanz das Oberste Gericht anzurufen. Da den Inhaftierten nicht immer mitgeteilt wird, weswegen sie einsitzen, wird dieses Recht von der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem als Farce abgetan. In einigen Fällen wurde Administrativhaft im Anschluss an eine vollständig verbüßte Haftstrafe verhängt.[10]
Im Westjordanland kann Administrativhaft durch einen höheren Offizier der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte verhängt werden. Diese Bestimmungen galten bis zum israelischen Abzug aus dem Gazastreifen 2005 auch dort. Die Inhaftierten erhalten nach acht Tagen das Recht, mit einem Rechtsbeistand zu sprechen, das Recht, ein Gericht anzurufen, wurde ihnen nach 15 bis 34 Tagen zugestanden – hier änderten sich die Bestimmungen mehrfach im Lauf der Zeit.[11] 1970 wurde dafür das Advisory Appeals Committee eingerichtet. Es gilt aber nicht als praktikable Berufungsinstanz, da palästinensischen Administrativhäftlingen nicht immer mitgeteilt wird, welche Vorwürfe gegen sie erhoben werden. Strafgefangene in israelischen Gefängnissen sind gegenüber Administrativhäftlingen insofern besser gestellt.[12] Im Jahr 2000 untersagte das Oberste Gericht die verbreitete Praxis, Palästinenser als „Verhandlungsmasse“ für einen anstehenden Gefangenenaustausch in Administrativhaft zu nehmen, ohne dass von ihnen eine konkrete Bedrohung ausging. Daraufhin verabschiedete die Knesset 2002 ein Gesetz, wonach dafür die bloße Mitgliedschaft in einer Organisation ausreicht, die feindliche Taten gegen Israel verübt habe. Die betreffende Person kann demnach in Haft gehalten werden, bis der Verteidigungsminister befindet, dass die Organisation ihre Feindseligkeiten eingestellt hat oder keine Bedrohung für Israel mehr ist.[13]
Vor der Ersten Intifada betrug die Zahl der palästinensischen Administrativhäftlinge etwa 200 und stieg dann bis 2007 auf einen Monatsdurchschnitt von 830 an.[14] Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel 2023 stieg die Zahl noch einmal deutlich: Am 1. November 2023 soll sie über 2000 betragen haben. Laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International kam es in der Administrativhaft auch zu Fällen von Folter.[15]
Administrativhäftlinge sind in der Hauptsache Palästinenser. Nur ganz vereinzelt wurden auch Juden wegen Siedlergewalt in Administrativhaft genommen. Im November 2024 teilte Verteidigungsminister Israel Katz von der Likud mit, er werde diese Praxis nicht fortsetzen. Im Januar 2025 veranlasste er die Freilassung aller fünf jüdischen Israelis, die sich derzeit in Administrativhaft befanden.[16]
Administrativhäftlinge machen einen großen Teil der palästinensischen Gefangenen aus, die bei dem Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und der Hamas vom 15. Januar 2025 freikommen sollen.[16]
Weil von Administrativhaft nahezu ausschließlich Palästinenser betroffen sind, verstehen verschiedene Menschenrechtsorganisation sie als Teil eines Systems dauerhafter Diskriminierung und werfen Israel vor, in den besetzten Gebieten völkerrechtlich verbotene Apartheid zu betreiben. Dieser Vorwurf wurde sowohl von der israelischen Regierung als auch von dem deutschen Botschafter in Israel, Steffen Seibert, zurückgewiesen.[17]
In der Schweiz wird eine Administrativhaft von den kantonalen Migrationsbehörden angeordnet. Die Administrativhaft umfasst vier verschiedene Formen des Freiheitsentzugs: die Vorbereitungs-, Ausschaffungs- und Durchsetzungshaft sowie die Dublin-Haft. Diese Haftarten können nur gegen Personen angewandt werden, die keine Kurzaufenthalts-, Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung haben. Der aus diesen Gründen angeordnete Freiheitsentzug hat keinerlei Strafcharakter. Die Administrativhaft dient ausschließlich dazu, Ausweisungen oder strafrechtliche Landesverweisungen (Art. 66a f. StGB) sicherzustellen.[18] Die Zulässigkeit einer Vorbereitungs-, Ausschaffungs- oder Durchsetzungshaft wird systematisch durch die Gerichte geprüft. Nach spätestens 96 Stunden Haft muss eine mündliche Verhandlung vor einem Haftrichter stattfinden (Art. 80 AIG).
In den Vereinigten Staaten wurde nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 der Rechtsstatus „Ungesetzlicher Kombattant“ etabliert, der es erlaubt, einseitig jede Person auf der Welt als „feindlichen Kämpfer“ bis zum Ende des Kriegs gegen den Terror, also auf unbestimmte Zeit und ohne strafrechtliche Anklage, präventiv in Haft zu nehmen und zu verhören. Den Betroffenen werden weder die Schutzrechte für Kriegsgefangene zugestanden, die die Genfer Konventionen vorschreiben, noch die des amerikanischen Strafprozessrechts. Die Möglichkeit, an ein amerikanisches Gericht zu appellieren, besteht nicht.[19] Auf dieser Rechtsgrundlage werden aktuell (Stand März 2024) noch 30 Gefangene ohne Anklage, ohne Urteil, ohne Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen, im Gefangenenlager der Guantanamo Bay Naval Base festgehalten.[20]
Administrativhaft wird oft als Verletzung der Menschenrechte angesehen, da sie ohne richterliches Verfahren durchgeführt wird. Kritiker argumentieren, dass die Anordnung der administrativen Haft oft willkürlich sei und es keine klaren Kriterien für ihre Anwendung gebe.[21][22] Dies führe zu Inkonsistenzen und Ungleichbehandlungen in verschiedenen Fällen. Die Inhaftierten hätten oft keinen Zugang zu rechtlicher Unterstützung und seien langfristig isoliert, was zu psychischen und physischen Belastungen führen könne.[21][23]